Nikita Teryoshin widmet sich in seiner fotografischen Arbeit den absurden, oft übersehenen Seiten des modernen Lebens. Mit einem feinen Gespür für Ironie und visuellen Witz dokumentiert er gesellschaftliche Widersprüche, Machtstrukturen und ökonomische Zusammenhänge – sei es in der Landwirtschaft, auf Reisen oder im urbanen Alltag. Sein Stil kombiniert dokumentarische Präzision mit surrealer Überzeichnung und einer eigenwilligen, oft humorvollen Bildsprache.
Besonders große Aufmerksamkeit erregte zuletzt seine Langzeitserie Nothing Personal: The Back Office of War, in der Teryoshin seit 2016 die verborgene Welt der globalen Rüstungsindustrie dokumentiert – genauer gesagt jene exklusiven Waffenmessen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Für dieses Projekt reiste er in 17 Länder auf fünf Kontinenten und erhielt Zugang zu einer Branche, die sonst hinter verschlossenen Türen operiert. Was dort verhandelt und präsentiert wird, findet später seinen Weg in bewaffnete Konflikte rund um den Globus. Die Bilder, die Teryoshin dabei festhält, stehen in starkem Kontrast zu den vertrauten Darstellungen von Krieg und Zerstörung. Statt Blut, Leid und Ruinen zeigt er die makellosen Kulissen eines milliardenschweren Geschäfts: Messehallen, in denen frisch polierte Waffen neben Wein und Fingerfood präsentiert werden; Panzer und Raketenwerfer, die im atmosphärischen Licht glänzen; Deals, die in entspannter Lounge-Atmosphäre angebahnt werden. Diese Szenerien erinnern an überdimensionierte Spielplätze für Erwachsene, auf denen tödliche Technologien wie harmlose Konsumgüter erscheinen.
Ein zentrales Merkmal dieser Serie ist die bewusste Anonymisierung der abgebildeten Personen. Durch das konsequente Verbergen von Gesichtern verschiebt Teryoshin den Fokus weg von den individuellen Akteuren hin zu den übergeordneten Strukturen und Mechanismen des internationalen Waffenhandels. Ziel seiner Serie ist es, Einblicke in eine hermetisch abgeschottete Welt zu ermöglichen – eine Welt, in der Waffenhändler, Regierungsdelegationen und PR-Vertreter von Rüstungsunternehmen fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit agieren und wirtschaftliche Interessen über menschliche Schicksale stellen, weit entfernt von den Schlachtfeldern, auf denen die Folgen ihrer Geschäfte sichtbar werden.
Durch den gezielten Einsatz von Blitzlicht erzeugt Teryoshin eine Ästhetik, die an Tatortaufnahmen erinnert und so die Künstlichkeit und Absurdität der dargestellten Szenen verstärkt. So entsteht eine visuelle Satire, die die groteske Diskrepanz zwischen der tödlichen Bestimmung der Produkte und ihrer harmlosen Darbietung entlarvt. Teryoshins Bilder wirken teils surreal, teils bizarr: etwa, wenn ein gepanzerter Jeep wie ein Sportwagen auf einem roten Teppich inszeniert wird oder ein Messebesucher mit einem Sturmgewehr posiert, als halte er ein Sportgerät in der Hand. Diese Ironie durchzieht die gesamte Serie und konfrontiert das Ausstellungspublikum mit einer verstörenden Normalisierung von Gewalt.
Besonders beklemmend ist die Inszenierung von Krieg als Show. Leichen erscheinen allenfalls in Form von Dummies oder als digitale Abbilder auf Simulatoren. Bazookas und Maschinengewehre sind in Flatscreens eingesteckt, während Kriegshandlungen in künstlichen Umgebungen vorgeführt werden – vor Tribünen voller hochrangiger Gäste, Minister, Staatschefs, Generäle und Händler. Der Krieg verliert seinen Schrecken und wird zum Spektakel, zur Simulation, zur Performance – entkoppelt von Leid, Schmerz und Tod. Was bleibt, ist ein glattpoliertes Abbild militärischer Gewalt: optimiert für den Verkauf, entmenschlicht durch Technik und Ästhetik.
Kuratiert von Daniela Yvonne Baumann